Raum zum Ankommen

Trauma

Traumatherapie

Trauma ist ein lebensbedrohliches Ereignis, dass so überfordernd ist, dass es nicht verkraftet werden kann. Dabei ist es unerheblich, ob das Leben wirklich bedroht ist oder ob es nur als lebensbedrohlich wahrgenommen wird, ob es gestern passiert ist oder vor 50 Jahren, ob es erinnert werden kann oder nicht. Trauma ist Todesangst – ohne Verarbeitung und Integration dieser Erfahrung. Das Erlebnis wird durch diese Überforderung fragmentiert, also aufgesplittert und „zeitstabil eingefroren“ – quasi schockgefrostet. Das heißt: Ich kann durch bestimmte Auslöser („Trigger“) meine Gefühle von damals im Hier und Jetzt wieder erleben – auch ohne den Zusammenhang zu kennen, ohne zu wissen, wo sie plötzlich herkommen. Die in der Vergangenheit zeitstabil eingefrorenen Gefühle von Todesangst empfinde ich auch in der Gegenwart als real und echt, auch wenn die Gefahr jetzt nicht (mehr) dieselbe ist oder ich als Erwachsener damit eigentlich souverän umgehen könnte. Wenn ich die Auslöser dieser Gefühle nicht kenne oder identifizieren kann, kann diese Todesangst für mich vollkommen unerwartet quasi aus dem Nichts kommen. Es wird in der Psychologie zwischen Schocktrauma und Entwicklungstrauma unterschieden. Ein Schocktrauma ist ein einmaliges Erlebnis, ausgelöst zum Beispiel durch Naturkatastrophen oder Unfälle. Ein Entwicklungstrauma dagegen entsteht nicht durch ein einmaliges, sondern durch wiederholte traumatisierende Erlebnisse mit Bezugspersonen über einen längeren Zeitraum hinweg (z.B. Verwahrlosung, sexuelle Gewalt, Suchtabhängigkeit der Eltern, Übergriffe durch Betreuer*innen, Lehrer*innen …).

Der Körper reagiert auf ein lebensbedrohliches Ereignis mit Kampf, Flucht oder – wenn das beides nicht möglich ist – mit einem Totstell-Reflex, auch „Freeze“ genannt. Der Körper stellt dafür alle notwendige Energie und Hormone bereit: Adrenalin wird ausgeschüttet, die Verdauung wird eingestellt, die gesamte Energie des Körpers wird fokussiert, um das Leben vor dem Tod zu bewahren. Diese Reflexe laufen durch unser autonomes Nervensystem blitzschnell ab – wir können gar nicht darüber nachdenken. Sie sorgen zum Beispiel dafür, dass wir viel schneller laufen konnten, um vor dem Raubtier zu fliehen, dass wir mehr Kraft zur Verfügung haben, um zu kämpfen, oder dass – wenn weder fliehen noch kämpfen möglich ist – unsere Muskeln vollkommen starr werden, um uns tot zu stellen. Diese Körperreflexe sind eine sinnvolle biologische Überlebensstrategie. Wenn die Gefahr vorbei ist, das Lebewesen nach der Todesangst wieder sicher ist, dann entlädt sich der Körper vom Stress, er zittert und schüttelt sich – falls das nicht, wie bei uns Menschen, durch innere und äußere Verbote („Stell dich nicht so an!“) unterbunden wird oder, wie bei einem Entwicklungstrauma, sich das Gefährliche immer wiederholt und zum Alltäglichen wird. Bei allen anderen Säugetieren ist das Entladen durch Zittern ein normaler, gut zu beobachtender Reflex, denn die Körperreaktionen auf eine Bedrohung sind sehr anstrengend, und wenn die Gefahr vorbei ist, braucht es Zeit für Erholung. Dann ist man vielleicht erst mal erschöpft, müde und schlaff oder wird krank. Das ist ganz normal und schafft Zeit für Regeneration.

Manchmal sind die traumatischen Erlebnisse so stark oder wiederholten sich so oft, dass die Seele keinen anderen Weg mehr weiß, als sich aufzuspalten. Ein Teil lebt dann irgendwie einfach weiter, funktioniert scheinbar normal, und ein Teil der Seele, die Schmerz, Schreck, Angst erlebt hat, wird verdrängt, verschwindet in der Dunkelheit, wird zum Schatten. Dadurch kann der Mensch überleben. Das ist eine gesunde Reaktion auf krankmachende Erfahrungen. Dieser Aufspaltungsprozess kann mehrfach geschehen. Der betroffene Mensch kann dann sogenannte dissoziative Störungen entwickeln, beispielhaft Sehstörungen, taube Gefühle in Armen oder Beinen, oder er fühlt sich wie weggetreten, nicht ganz bei sich, wie neben sich stehend. Auch eine multiple Persönlichkeitsstörung kann dadurch entstehen, das heißt, ein Mensch entwickelt zwei oder mehrere autonome, anscheinend normale Persönlichkeiten. Er spaltet sich auf.

Traumatisierte Menschen erleben durch einen Auslöser (Trigger) Stress, den sie nicht richtig zuordnen können. Darauf folgt dann die Erschöpfung. Der Stress entsteht durch das wiederholte Hochfahren des Überlebensprogrammes im Alltag, und die Erschöpfung, Kraftlosigkeit oder Depression ist einfach die notwendige Regeneration danach. Oft gibt es gar keinen Zustand dazwischen. Trauma kann die Ursache für viele psychosomatische Krankheiten sein: Depression, Ängste, Panik, Burnout, Schmerzzustände aller Art und vieles andere mehr. Jeder Mensch ist anders, jede lebensbedrohliche Erfahrung ist anders, und so sind die Bewältigungsstrategien auch sehr vielfältig. Der Körper hilft oft, die Erfahrungen mitzutragen, wenn die Seele es nicht schafft.

In den ersten Jahren ist Bindung absolut überlebenswichtig für das Baby und Kleinkind. Sie brauchen Nahrung, Körperkontakt, Pflege, Aufmerksamkeit und Ansprache. Deshalb belohnt der Körper nicht traumatisierte Mütter und Vater mit Hormonen, die glücklich machen, wenn Bindung zum Baby aufgenommen wird. Das heißt, diese Eltern nehmen ihr Baby gerne auf den Arm, auch wenn es schreit. Das Baby macht wiederum alles, um die Bindung zu den Eltern zu stärken. Bei Eltern, die selbst frühkindlich traumatisiert worden sind und diese Traumata nicht aufgearbeitet haben, kann das Schreien ihres Babys ein Trigger sein, also als lebensbedrohliche Situation erlebt werden. Diese Eltern reagieren mit Flucht, Kampf oder dem Totstell-Reflex, das heißt, sie gehen aus dem Raum oder schalten innerlich ab. Vielleicht schreien sie ihr Kind an, schütteln oder schlagen es – oder würden es am liebsten tun –; oder sie ignorieren es, erstarren, werden handlungsunfähig und fühlen sich total überfordert. So werden Traumata auch an die nächste Generation weitergegeben. Das Schreien des Babys wird vor allem dann als belastend und nicht aushaltbar erlebt, wenn die eigenen inneren Babys, diese kindlichen Selbstanteile selbst noch schreien und immer noch glauben, sie seien in dieser Not von damals.

Du, als KlientIn und ich als Therapeutin sind auf gleicher Augenhöhe, das heißt, zwei Erwachsene kümmern sich gemeinsam um deine verlorenen Seelenanteile oder inneren Kinder. Wir nehmen Kontakt zu diesen Anteilen auf, fragen nach, was sie brauchen und gebraucht hätten und entwickeln Bilder, die deine inneren Kinder retten, ihnen genau das geben, was sie damals nicht bekommen haben. Dabei nehmen wir die verschiedenen Selbstanteile ernst und würdigen sie, wir geben ihnen das Gefühl, gesehen und gehört zu werden, wir fühlen, was sie gerade erlebten (auch wenn es über viele Jahre zurück liegt) – und bestätiten es: „Das, was da geschehen ist, war überhaupt nicht gut, das war nicht richtig! Das war furchtbar schlimm und es tut uns sehr leid, dass dir das passiert ist!“ Ich unterstütze dich dabei, deine Ressourcen, Stärken und schönen Erlebnisse immer wieder bewusst zu machen, damit deine neuronalen Autobahnen nicht immer automatisch in die Schreckenserwartungen einrasteten. Ein neuer Selbstanteil wird ins Leben gerufen: der innere Beobachter. Dieser Anteil lernt, sich nicht gleich mit allem zu identifizieren, sondern erst einmal ganz unbeteiligt die Lage zu sondieren, herauszufinden, um was genau es gerade eigentlich geht. Wir entwickeln positiven Bilder und Geschichten, damit ich die Schrecken der Vergangenheit nach und nach verarbeitet und integriert werden können. Du lernst, dich an den neuen Bildern zu orientieren und zu pendeln: Wenn die Schrecken in deinem Leben auftauchen, kannst du bewusst an die sicheren Orte gehen, sodass du mehr Kontrolle über dein Gefühlsleben bekommst. Du kannst nach und nach die alten Konditionierungen durch neue Erfahrungen und Bilder überschreiben. Die Hirnforschung hat herausgefunden, dass es kaum einen Unterschied macht, ob wir uns etwas vorstellen oder ob es real geschieht: In beiden Fällen sind die gleichen Hirnregionen aktiviert. Das nutzten wir in der Traumatherapie. Positive auch ganz körperlich gefühlte Vorstellungen schaffen neue neuronale Verbindungen – und dadurch verlieren alte Trigger nach und nach an Kraft.

Je mehr wir unsere eigenen Traumata und deren Überlebensstrategien kennen, darüber Bescheid wissen und sie würdigen, je mehr wir uns damit selbst annehmen und lieben können, desto leichter fällt uns das auch bei anderen Menschen. Wenn wir wissen, welchen Reaktionsautomatismus Trigger auslösen können, dann kommen uns Sätze wie „Stell dich nicht so an!“, „Reiß dich mal zusammen!“ oder „Das ist doch jetzt echt nicht so schlimm.“ nicht mehr so leicht über die Lippen. Wenn ein anderer Mensch für uns unverständliche, überzogene oder extreme Reaktionen zeigt, dann können wir das besser einsortieren, auch wenn wir nicht gleich wissen, woher genau diese Reaktion bei diesem Menschen kommt oder was sie hervorgerufen hat. Traumasensibel zu sein bedeutet für mich vor allem, wohlwollend zu sein, sich bewusst zu machen, dass wir fast alle auf die eine oder andere Art extreme Erlebnisse hatten und erst einmal sinnvolle Überlebensstrategien dafür entwickelt haben, die nicht einfach so ausgeschaltet werden können. Traumasensibel zu sein bedeutet für mich, beobachten zu lernen – anstatt gleich in eine Reaktion zu gehen. Und vielleicht zu fragen: „Was brauchst du?“ Wir können lernen, uns selbst so, wie wir sind, immer besser anzunehmen und zu lieben – und das dann auch bei unseren Mitmenschen tun. Es bedeutetet, auszusteigen aus der Trigger-Spirale – aus Eskalationssituationen, bei denen wir uns hocherregt verbal oder gar körperlich gegenseitig fertigmachen – und einander wohlwollend in der Andersartigkeit wertschätzen zu lernen.